Am heutigen Morgen der zweiten Etappe fehlt uns noch etwas die Energie in den Beinen. Trotzdem wollen wir früh los, weil sonst bereits die ersten Tageswanderer aufkreuzen, denen wir nicht unser ganzes Zelt präsentieren möchten. Wir kommen nochmal an der Sesvennahütte vorbei - die übrigens auf italienischem Boden liegt - und von dort aus geht es steil hinauf zum Fuorcla Sesvenna. Zuerst geht es über sanfte Terrassen hinauf, bis dann ab ungefähr 2'500 m ü. M. das Gelände alpin und karg wird. Trotzdem lassen wir uns die Gelegenheit nicht entgehen, auf nicht ganz 3'000 m. ü. M. in den Lago Sesvenna zu springen. Zuerst zögere ich, doch die Aussage, dass man irgendwann mal in 40 Jahren darauf stolz sein wird, überzeugt mich. So schnell ich im Wasser bin, so schnell bin ich auch wieder draussen. Das Gefühl danach ist einmalig - man fühlt sich wieder frisch und voller Energie gewappnet für die nächsten paar Stunden auf dem Trail. In Kürze erreichen wir die Passhöhe und machen uns schon bald auf den Abstieg in Richtung S-Charl.
Das Terrain während des Abstiegs ist unglaublich vielfältig. Auf der
Passhöhe sind wir in einer schroffen alpinen Hochlandschaft und kommen
an einem eindrücklichen kleinen Gletschersee in der Gegend Morena da
Sesvenna vorbei. Danach folgt ein sehr steiler, aber nicht
ausgesetzter Abstieg ins Val Sesvenna, auf deren Wiesen friedliche
Kühe grasen. Später laufen wir durch eine Gerölllandschaft, in der
sich immer wieder kleine Arvenwälder hervorheben. Hier begegnen wir
einem Bauern, der uns den ganzen Tag begleiten wird. Der Abstieg durch
das Tal zieht sich in die Länge und gegen späteren Nachmittag
erreichen wir die Alp Sesvenna, wo wir dem Bauer erneut begegnen.
Danach folgen wir dem Bach, bis wir schliesslich S-Charl erreichen.
Wir nutzen die Mittagszeit in einem kleinen Restaurant, um Energie zu
tanken und unsere Mobiles zu laden. In der Planung haben wir
angenommen, dass wir hier Lebensmittel kaufen können, was leider nicht
der Fall war. Während des Mittagessens in der Gartenwirtschaft konnten
wir noch einige amüsante Ereignisse beobachten, bevor wir dann einen
geeigneten Zeltspot suchten. Dafür sind wir weiter in das S-Charl Tal
abgezweigt - und der Bauer zieht erneut an uns vorbei. Wir haben einen
Abzweiger verpasst, und sind deshalb ungefähr eine halbe Stunde in die
falsche Richtung gelaufen. Dies war nicht so schlimm, denn es gab
ohnehin keine geeigneten Campingmöglichkeiten in der Nähe. Als es dann
bereits später Nachmittag war und wir die richtige Abzweigung
erwischten, näherte sich uns ein Auto. Dieses fuhr im Schritttempo an
uns vorbei - wobei der Fahrer - wieder der Bauer - die Scheibe runter
liess und mit uns ins Gespräch kam. "Wo wollt ihr denn noch hin?"
Der Bauer war begeistert von unserem Vorhaben und sagte, bei ihm oben
bei der Alm gibt es genügend Platz zum zelten. So gehen wir hoch zu
seiner Alm und suchen uns einen schönen Zeltplatz aus. Den in der Nähe
gelegenen Bergbach nutzen wir für eine kleine Dusche, auch wenn der
Zustieg ziemlich umständlich war. Die Aussicht von der Alp Plazer ins
S-Charl Tal war einmalig, besonders am Abend.